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Nach der hausinternen Entscheidung, die Musikreihe einzustellen, hatte mich Achim um ein paar Sätze für die Waldsee Internet Seite gebeten....gewissermaßen als "der alte Kommandant macht das Licht aus".

Erwartungsgemäß fiel der Text etwas ausführlicher aus.

Dann überlegte sich das Haus, die Reihe doch fortzusetzen (ich bin gespannt!); aber nun hatte ich den Text ja schon fabriziert, und da er auch indirekt eine ganz allgemeine Entwicklung der Live Szene beschreibt, habe ich ihn nun (mit Achims Genehmigung) immerhin hier veröffentlicht. Er mag ein mahnendes Beispiel geben, und ich mußte mich schon während des Schreibens wiederholt an die eigene Nase fassen. 

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                                 -klang, -kunft, -sicht, -nahme, -verkauf, -zug, -tausch

                      Die Waldsee Reihe Jazz ohne Stress wird nach 27 Jahren eingestellt

 

„Don´t it always seem to go, that you don´t know what you´ve got ´til it´s gone?

 

„Na, dann können die ja demnächst auch noch am Dienstag Disco machen!“

„Wegen mangelnder Besucherzahlen? – Andere wären froh, wenn sie so viele Leute ziehen könnten!“

„Wieder typisch: Erst mit „Eintritt frei“ die Preise kaputt machen, und jetzt sich selbst wegrationalisieren!“

„Wie? Als ich da war, war doch immer was los!“

„Ja, wo sollen denn jetzt die armen Mannheimer und Schweizer Musiker spielen?“

„Mit Verlaub: Jazz interessiert halt keine Sau mehr.“

So und ähnlich dürften recht süffisante Reaktionen auf diese Nachricht in Teilen der Szene ausfallen, und ich muß zugeben, der ein oder andere Satz davon ist mir auch selbst spontan durch den Kopf gegangen.

Hmmm.

Mal genauer hinsehen:

20. April, 1993

Das erst „Jazz ohne Stress“ geht über die Bühne.

„Bühne“ ist hier noch die linke Ecke der Kneipe, vor der Saaltür, durch die nun alldienstäglich der Flügel bugsiert wird, nachdem ihn sechs Leute von der echten Bühne im Saal gehievt haben. Beim allerersten Jazz ohne Stress spielen: Johannes Mössinger (p), Florian Galow (b) und der hier Bericht erstattende.

Diese Reihe hatten sich Achim und ich in einer nächtlichen Sitzung ausgedacht. Ich, um eine Spielfläche für Experimente zu schaffen - natürlich auch für mich selbst, aber dabei womöglich so etwas wie eine kleine Szene zu generieren. Achims Interesse war sicher auch, die sich häufenden Anfragen lokaler Bands in Bahnen lenken zu können, die nicht mit dem offiziellen Konzertprogramm kollidierten. Nicht zuletzt wollten wir beide aber wohl auch einfach ein paar Musikfreaks (gleich ob aktiv oder passiv) um uns haben, was sich im folgenden Jahrzehnt in Form fortgeschrittener Ausschweifigkeit bestätigte.

Regelmäßig zu hören in dieser Anfangszeit sind (aus meiner Erinnerung): Johannes Mössinger, Thomas Pieper, Florian Galow, Jörg Niessner, Florian Enderle, .........

Der Umzug in den Saal erfolgte wenige Monate später, nachdem eine in Freiburg gastierende Broadway – Steptanz Kompanie, die ich zufällig aufgegabelt und eingeladen hatte, den Kneipenboden mit Ata Pulver rutschfest zu machen suchte. Die Steptanz - Session war sensationell, der Versuch am Folgetag, das Pulver zu entfernen katastrophal....

Im Saal wurde zunächst aber nur im vorderen Drittel, begrenzt durch einen Vorhang, gespielt; und die vom Jazzhaus dafür erworbenen 27 Holzstühle vermitteln in Verbindung mit etwa sechs Barhockern und ein paar Stehplätzen ein präzises Bild der damaligen Dimension der Reihe.

Auch diese aus heutiger Sicht kleine Version generierte aber sofort Kritik: Jetzt ist es ein Platz, zu dem Publikum gezielt kommt, um Musik zu hören...... aber: umsonst, und ohne Gage für die Musiker (von Essen und Trinken abgesehen).

Für mich persönlich habe ich dieses Musiker-Dilemma lösen können, aber allgemeingültig nie. Und bis heute sind Grundsatzdiskussionen über Wert und Wertschätzung von Musik die haarigsten....ein echtes Mienenfeld. Für Jazz ohne Stress bleibt zu konstatieren, dass selbst die härtesten Widersacher irgendwann mal dort gespielt haben. Es scheint auf jeden Fall also noch andere Wertmaßstäbe zu geben.

Andererseits waren wir aber auch definitiv Teil dieses wirtschaftlichen Abschwunges für Musiker....

Zurück zum gedrittelten Saal:

Das ist für mich bis heute die schönste Jazz ohne Stress – Atmosphäre gewesen, und zerknirscht muß ich zugeben, der Expansion selbst Vorschub geleistet zu haben: Für Achim´s 40sten (der noch genau auf den Dienstag fiel) waren zum einen deutlich mehr Gäste zu erwarten, zum anderen hatte ich ein 16 köpfiges Musikerensemble mit einem Rolling Stones – Special aufgeboten, so dass der erwähnte Vorhang kurzerhand geöffnet und das mittlere Saaldrittel zur Bühne erklärt wurde.

Das wollten nun alle Bands, die viel Platz brauchten, dann auch die kleinen, wenn sie viel Publikum erwarteten, schließlich alle Bands überhaupt und so setzte sich die Spielfläche unaufhaltsam Richtung Bühne in Bewegung, die dann ab 1998 auch erklommen wurde.

Seitdem war also Jazz ohne Stress optisch nicht mehr von den (damals allerdings schon seltener werdenden) Programm-Konzerten zu unterscheiden.

Das hat mir immer etwas missfallen, aber aus Publikumssicht war das natürlich höchst angenehm, sowohl sound technisch, als auch optisch.

Als wesentliche Bestandteile dieser „ebenerdigen“ Zeit (auch wenn sie noch weit länger dabei waren) möchte ich Tilman Günther und Jean Luc Miotti nennen, die einen Dienstag im Monat regelmäßig mit mir und jeweils verschiedenen Gästen gestalteten.

Jazz ohne Stress war ja bewusst nicht als offene Bühne angelegt, aber diese Reihe innerhalb der Reihe kam vielleicht dem Begriff der Jazz-Session am nächsten.

Einmal auf der Bühne angelangt, war nun ein gewisser Teil des Charmes verloren, dafür exzellente Spielbedingungen (im nach wie vor best klingenden Club Freiburgs!) gewonnen. Mehr und mehr Bands aus anderen Bereichen (sowohl stilistisch, als auch geographisch) begannen sich für einen Dienstagsauftritt zu interessieren, das Programm wurde farbiger und abwechslungsreicher.

Alles noch im Rahmen, denn um einen Auftritt zu bekommen, brauchte man zwar kein Demo o.ä., aber man konnte den Termin nur dienstags vor Ort persönlich mit mir ausmachen. (Ich wollte, dass die Musiker selbst ein Gespür entwickelten, ob sie hier reinpassten oder nicht.)

Auswärtige waren dementsprechend noch recht selten, es sei denn in Kombination mit Freiburgern. Dafür häuften sich leider deutlich die Bands mit festem Programm, die in Ermangelung anderer Spielmöglichkeiten nun, wenn auch ohne Gage, aber immerhin in die ansonsten guten Spielbedingungen drängten. Auch hier bewegte sich etwas vom Ursprungsgedanken weg, aber das sind Prozesse, die Du in dem Moment nicht gleich bemerkst und selbst wenn – was willst Du schon machen? Wer soll da entscheiden, ob experimentiert, getüftelt, unfertiges zu Gehör gebracht wird, oder ein glashart, routiniert genageltes Programm? -- Und warum?

Durch die stilistische Verbreiterung sind aber die frühen 2000er Jahre wohl die mit dem größten „Szene-Faktor“. Hier trafen sich nun wirklich dienstags „Gott und die Welt“, nicht nur die Jazz Affinen. Das Jazzhaus hatte sich ja gerade (nach Waldis Tod) von der Szene isoliert und so war nun der Waldsee – Saaltresen die Agentur für Bandbildung, kurzfristige Aushilfsjobs, oder auch nur Ideenaustausch (um es mal nicht Wichtigtuerei zu nennen ;-)

Damit so etwas passiert, müssen schon immer einige Faktoren zusammen kommen, die niemand allein bestimmen kann; so waren z.B. auch ein paar schiffbrüchige Blueser angeschwemmt worden, nachdem das Blue Monday einige Zeit vorher untergegangen war – und ganz exzellent natürlich die Anstellung von Phrannck Geisler als regelmäßiger Theker! Phranck verabscheut Jazz weitestgehend, kennt dafür fast alles, was an solchen Dienstagen eher nicht gespielt wird und ist somit der perfekte Advocatus Diaboli für eine solche Reihe!

Auch für diese Phase möchte ich ein paar Musiker als besonders tragend nennen (erneut ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Arno Pfunder, Jens Gebel, Nikolaus Halfmann, Johnny Gomer, Alexander Paeffgen......

Seit 2006 hatte ich schon einen Nachfolger für mich gesucht, tourbedingt war ich öfter mal nicht zugegen, was schwierig für´s Booking war (s.o.), und eine gewisse Müdigkeit hatte sich auch eingestellt. Irgendwie schien alles erreicht, neues wollte mir nicht einfallen und – dann sind 12 Jahre ja auch mal genug.

Zu der Zeit listete uns eine Internet Plattform, die möglichst alle deutschen Sessions verzeichnet, bereits als die älteste durchgängig bestehende Session Deutschlands. (Gut, sie meinten wohl „wöchentlich stattfindend", und der Session Begriff ist ja auslegbar....)

Es dauerte dann aber immer noch bis 2009 (wer will auch so einen Job schon machen?), bis Felix Groteloh meine Nachfolge antrat.

Ich denke, ein paar Veränderungen waren überfällig, und so kam es nun zu einer recht drastischen Wandlung in kurzer Zeit: Felix war technisch auf der Höhe und verlagerte das Booking komplett in den Cyber Space, ich denke auch sein Umgangston war wesentlich professioneller und schließlich bekam er sogar mal für eine Zeit lang 100 Euro Gage für die Bands bewilligt – und natürlich: Niemand musste mehr leibhaftig auftauchen, um eine Job zu bekommen.

Die Konsequenz natürlich: ein sprunghaftes Ansteigen auswärtiger Bands und schon bald war die erste Frage ankommender Besucher: Wer spielt denn heute, Mannheim oder Schweiz?

Ab jetzt gab es also -ich sage mal- zu mindestens drei Vierteln ein Hammer Programm: „ausgecheckt“ und „in the pocket“ sagen etwas jüngere Musiker, glaube ich, wenn komplexe Musik höchst souverän vorgetragen wird.

Klar, Du fährst eben nicht 400 Kilometer, um dann mal irgendwas auszuprobieren – risikobehaftet, dazu vor weitgehend Fremden; da lieferst Du lieber eine fertige Sache ab.

Traumhafte Zeiten für Liebhaber solcher (nun wieder verstärkt jazzverwandter) Musik.

Die Hälfte dieser Konzerte wären Glanzpunkte im offiziellen Waldsee Programm der 80er Jahre gewesen!

Dagegen wurden die Konzerte aber auch etwas unpersönlicher, viele Bands verschwanden direkt nach dem Konzert wieder, und gerade die Freiburger Musiker schienen sich nicht mehr so dafür zu interessieren, der Szenefaktor ging sichtlich verloren.

Ich frage mich bis heute, warum die Freiburger Musiker diesen Platz so einfach geräumt haben, obwohl gerade unter ihnen verstärkt über die neue Entwicklung der Dienstage gemault wurde.

Nur zur Klärung: Ich bin nicht protektionistisch, habe definitiv (und nachprüfbar ;-) nichts gegen auswärtige Musiker, und dienstags soll(te) da spielen, wer wollte. Mich grämte einfach der Verlust dieses Szenegefühls – das schien eine Konsequenz der neuen Politik, auch wenn die nicht in dem Sinne "schuld" war.

(Ein richtig breit aufgestelltes Szenegefühl habe ich seit der Zeit übrigens in Freiburg auch nirgendwo anders entdeckt.)

Insofern möchte ich aus dieser Aera ein paar tapfere Recken nennen, die immer noch treu gekommen sind und wenigstens noch eine kleine „in group“ gebildet haben: X für U Micha, „ghostwriting“ Kai, Bella und natürlich die „Herde“ (eine Gruppe Stammgäste, deren Namen eigentlich in einen Tisch hätten graviert werden müssen).

Von Felix (mittlerweile zu Freiburgs Top Fotografen avanciert) ging das Szepter dann ca. 2015 an Johannes Mattes. Der hatte eine tontechnische Ausbildung, war selbst multi instrumentaler Musiker und fest am Waldsee angestellt. Dazu jung und ein klasse Typ – eigentlich ideale Voraussetzungen.

Johannes hatte spürbar versucht, das Ruder wieder etwas in Richtung Freiburger Szene zu drehen, und dabei auch einige jüngere Musikanten regelmäßig zu präsentieren. Fred Heisler z.B. etablierte sich mit verschiedensten richtig guten Projekten auch ganz im Sinne des Ausprobierens als „der neue Schroeder, nur jünger, frischer und frecher“ ;-)

Das sind wirklich spannende Jahre gewesen, nur haben sie die alten Musikanten nicht zurückgeholt, und die jungen haben es trotz wirklich guter Musik auch nicht geschafft, dort eine eigene, neue Szene zu etablieren. (Vielleicht aber auch gar nicht gewollt? Oder war es egal?)

So hat sich wohl das Publikum, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eher wieder bei den anfänglichen 40 eingepegelt.

Nun aber im großen Saal. Und das Waldsee ist auch nicht mehr der „Familienbetrieb“ der frühen 90er, mit ehrenamtlichen Helfern etc.

Die Abwicklung ist dann nur noch eine Frage der Zeit; überhastet ist sie im Waldsee Falle nicht geschehen, das kann ich bestätigen.

Ich denke, die meisten der anfangs genannten statements sind irgendwie im Text kommentiert worden. Ob Jazz noch interessiert, oder nicht – damit sollen sich andere rumschlagen, für den Dienstag hat „Jazz“ im stilistischen Sinn keine entscheidende Rolle gespielt. Ich denke, die Leute sind wegen Musik und Gemeinschaft dahin gekommen – und letztere ist uns irgendwie abhanden gekommen.

Hätten wir das aufhalten, gegensteuern, verhindern können? – Bestimmt!

Aber bevor irgendwer nun jammert oder mault: Wie häufig warst Du denn im letzten Jahr dienstags draußen? Wann hast Du Dich denn zum letzten Mal mit einem spektakulären Projekt dort beworben? Und wie sehr hast Du denn versucht, den Dienstag zum Teil (D)eines Netzwerkes zu machen?

Im Moment kenne ich in Freiburg noch folgende Musikreihen: der Blues Montag im Schiff, der Montag im Litfass, die Donnerstags Session im Ruefetto, sehr ausgedünnte Mittwoche im Ewerk und noch sporadischer die Improvisierer im Kammertheater (was ja streng genommen keine Reihen mehr sind),

Freilich das muß einen nicht alles interessieren......aber, wie gesagt:

Don´t it always seem to go, that you don´t know what you´ve got ´til it´s gone

(J. Mitchell)

Natürlich möchte ich allen JoS Beteiligten danken und nicht nur den Erwähnten. Das ist ja auch nur beispielhaft und eine echte Liste wäre imposant, da wären dann knapp 1400 Konzerte von etwa 2000 (verschiedenen) Musikern zu notieren. Alle zusammen haben wir wohl einen Wagen der gehobenen Mittelklasse dort vertrunken; das ist gut so, denn der Wagen wäre jetzt nach 27 Jahren ja auch praktisch nichts mehr wert.

Bis irgendwann demnächst

Bei einer der verbleibenden Musikreihen

Schroeder

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